Vortrag 11. Mai 2017
Ev.-luth. Kirche Blankenese am Marktplatz
Dorothee Sölle war eine mutige Persönlichkeit und erlaubte sich, „die jeweils andere zu sein, den Frommen die Politische, den Politischen die Fromme, den Bischöfen die Kirchenzerstörerin und den Entkirchlichten die Kirchenliebende” So ihr Ehemann, ihr theologischer und politischer Partner, Fulbert Steffensky.
Diese Zwitterrolle hinderte Dorothee Sölle nicht daran, zu handeln und immer wieder Position zu beziehen. Im Luther- Jahr 2017 muss ich mit Luther sagen. Sie war eine tragende Säule unserer Gesellschaft. Zitat Luther: „Das Reich Christi besteht aus solchen, die da tragen, und aus solchen, die da getragen werden.” Sie trug. Mit aller Entschiedenheit und Gläubigkeit, mit Engagement und Protest, mit Mutmachungen, im Kölner Nachtgebet, in Mutlangen und bei den vielen Aktionen der Friedensbewegung, auch in den USA und in Lateinamerika. Dorothee Sölle war eine zierliche kämpferische Frau, eine Intellektuelle, Schriftstellerin, Theologin, Feministin und Pazifistin, aber auch eine Internationalistin. Unsere Wege kreuzten sich in der Friedensbewegung
Mit ihren radikalen Theologien, der Theologie nach Auschwitz, der Gott-ist-tot-Theologie, der Politischen, der Befreiungs-, der Feministischen Theologie. Mit ihrer Dekonstruktion eines männlichen Herrschergottes, ‘der alles so herrlich regieret’ – war sie ihrer Kirche ein Dorn im Auge“, gewann trotzdem viele Menschen. Sie habilitierte sich, eine theologische Professur wurde ihr in Deutschland verweigert. Links und eine Frau, das geht zu weit (Frankfurter Rundschau).
Dorothee Sölle protestierte gegen den Vietnam- Krieg. Ihr Protest führte zur Gründung vom Arbeitskreis Politisches Nachtgebet im Herbst 1968 mit Katholiken und Protestanten in Köln, die „ein religiöses Gebet ohne politische Konsequenzen eine Heuchelei“ nannten. Die Nachtbeter wollten die Konsequenzen ziehen und im Gottesdienst politisch informieren und diskutieren. Sie beteten: „Ich hatte Hunger: Ihr habt die Ernte meines Landes chemisch vernichtet. Ich war nackt: Ihr habt mich mit Napalm übergossen“.
Nie wieder Krieg war auch ihre Botschaft. Deswegen auch ihr Protest gegen die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen.
Dorothee Sölle: Gebraucht wird eine Repolitisierung des Mitleids. Aus dem ernsthaften Mitleiden kommen der Zorn und die Empörung. Sie erst treiben uns zu einer Analyse der Realität. Unsere Schwierigkeiten, die Wahrheit zu sagen und zu verbreiten, haben sich nicht vermindert. Es gehört zur Befreiungsarbeit, die Wahrheit aus dem Gefängnis der geistigen Apartheid, in der wir uns befinden, herauszuholen. „Der Ekel vor unserer Welt steigt in mir hoch, ich schäme mich, in diesem Jahrhundert, unter diesen Wirtschaftsverbrechen zu leben. Ich warte auch auf eine Wiedervereinigung. Mit den um ihr Leben Betrogenen. Ohne sie werden wir alle nicht gerettet werden.“
Professorin wurde sie 1975 am Union Theological Seminary in New York- auf Wunsch von Professor Beverly Harrison, eine Art Mutter der feministischen Theologie, die jede Form von Sexismus und Ausgrenzung von Frauen kritisierte.Feministische Theologie nähert sich den zentralen Themen der Theologie aus der Perspektive und dem Erfahrungshintergrund von Frauen in unterschiedlichen Lebenszusammenhängen. Die Einsichten der feministischen Theologie fördern dabei in besonderer Weise die Entwicklung einer eigenen, lebensnahen und persönlichen Theologie. Die feministische Theologie ist eine frauenbefreiende Theologie, nicht gebunden an das Geschlecht. Sie thematisiert die Geschlechterbeziehung und ihre Auswirkungen auf Glauben, Kirche und Gesellschaft.
Feministische Theologie ist eine kontextuelle Theologie. Sie bezieht also gesellschaftliche, soziale, politische und zeitgeschichtliche Gegebenheiten in ihre Sichtweisen ein. Sie ist im Sinne der Frauenemanzipation eine parteiische Theologie und entstand aus der Kritik an der Dominanz männlicher Gottes-bilder im gesellschaftlich-religiösen Bewusstsein, das auf patriarchalischen Gesellschaftsverhältnissen beruht.
Die feministische Theologin Dorothee Sölle wurde später dann anerkannt und nicht nur mit vielen Ehrungen und Preisen bedacht, sondern sie hatte auch Gastprofessuren in Kassel und in Basel. Die theologische Ehrendoktorwürde erhielt sie von der Faculté Protestante, Paris. Und 1994 wurde sie Ehrenprofessorin der Universität Hamburg.
Die späte Mystikerin war auch eine Poetin und versuchte immer wieder die Bibel- und Gebetssprache so zu übersetzen, dass sie den Menschen näher war:
„Ich glaube an Gott,
der die Welt nicht fertig geschaffen hat
wie ein Ding, das immer so bleiben muss;
der nicht nach ewigen Gesetzen regiert,
die unabänderlich gelten;
nicht nach natürlichen Ordnungen
von Armen und Reichen,
Sachverständigen und Uninformierten,
Herrschenden und Ausgelieferten.“
Der Blick auf Christus allein war ihr nicht genug, der Blick auf die leidenden Menschen und ungelösten Herausforderungen gehörte dazu. Glaube und Politik müssen für sie nicht im Widerspruch leben.
Dorothee Sölle kritisierte Kirche, Gesellschaft und Politik. Die Themen, die sie geißelte, waren Luther fremd. Aber auch sie wollte eine Reform der Kirche. Den Glauben konnte ihr die Kirche niemals nehmen. Dorothee Sölle lebte den Konflikt zwischen Religion und Kirche, fühlte sich der Befreiungstheologie in Lateinamerika zutiefst verbunden und hoffte auf Impulse für die Kirche in Europa.
Aufsehen erregte Dorothee Sölle, als sie in ihrem Buch – Stellvertretung Ein Kapitel Theologie nach dem „Tode Gottes“ – mit dem Sühnegedanken eines seinen Sohn strafenden Gottes aufräumte und die Liebe zum Mittelpunkt einer Theologie machte, die sich an Jesus orientiert.
Dorothee Sölle betete und schrieb Gebete. Das „Amen“ am Schluss eines Gebets oder eines Bekenntnisses bekräftigte für sie das Gesagte nicht als verbürgte Tatsache. „Amen“heißt nicht „Das ist wahr“, sondern mit Luther „Das werde wahr!
Wer „Amen“ sagt, ist damit immer schon Utopist, Utopistin.
Dabei kommt – heute mehr noch als in anderen Zeiten – alles darauf an, Utopie nicht mit Illusion zu verwechseln, sie aber nicht zu diffamieren. Dorothee Sölle hat gegen den Utopieverlust gestritten: Dem Menschen müssen Träume bleiben.
Dorothee Sölle engagierte sich im Kuratorium vom Marie-Schlei-Verein, weil sie die wichtige Verantwortung sah, Frauen zu stärken, um Armut und Hunger, Ungerechtigkeit und Ungleichheit zu überwinden: Wo Kakao wächst, sollte auch die Schokolade gemacht werden.
1989 feierten wir ihren 60. Geburtstag. Wir waren eine sehr heterogene Gesellschaft, aber für uns alle waren Frieden, Bertha von Suttner“ Die Waffen nieder“ und Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität weltweit Schlüsselworte. Sie gehörten zusammen und motivierten zum Widerstand gegen die herrschenden Entscheidungen für Aufrüstung, gegen die Dorothee Sölle bereits in Mutlangen protestierte. Dorothee Sölle war wichtig für alle anderen, die sich dem Protest damals und später anschlossen.
Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker soll Che Guevara formuliert haben. Die Christin und Friedensfrau Dorothee Sölle verband Solidarität und Nächstenliebe. Das Wort Solidarität ist über die Französische Revolution und die Geschichte der Arbeiterbewegung zum Erkennungswort des Sozialismus geworden. Das Wort Liebe oder Nächstenliebe war die Parole des Christentums. Diese beiden Wörter waren die Kurzformeln der Bewegungen, in denen sie zu Hause war:“ Glück ist nicht möglich ohne Glück für alle.“
Dorothee Sölle braucht in Hamburg neben dem Dorothee-Sölle-Haus ein Zuhause, eine Straße in Altona sollte ihren Namen tragen.