Rede Europaunion 2017

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Für 500 Millionen Menschen ist Europa zu einer Region geworden, in der man gut und in Frieden leben kann, mit gleichen Rechten für alle, in einem rechtsstaatlichen Rahmen, in Wohlstand, ohne Diskriminierung und in einer einigermaßen egalitären Gesellschaft und gesünderen Umwelt. Wenn bei den gegenwärtigen Produktions-und Konsumstrukturen bis zum Jahr 2050 fast 10 Milliarden Menschen einen europäischen Lebensstil anstreben würden, wären die natürlichen Ressourcen von mindestens zwei Planeten Erde erforderlich. Gleichzeitig nimmt die Fragilität des Finanz- und Wirtschaftssystems, mehr noch die soziale Ungleichheit zu. Selbst IWF, OECD und IW warnen.

Die Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung der UN spiegelt die allgemeine Erkenntnis wider, dass der globale Status quo nicht tragbar ist, und dass ein Wandel in Richtung Nachhaltigkeit erforderlich ist, um die negativen globalen Trends umzukehren.

Die Notwendigkeit eines grundlegenden Wandels betrachtet die UN-Agenda als universelle Herausforderung. Zum Erfolg der UN-Verhandlungen hat auch die EU beigetragen. Die Nachhaltigkeit könnte sich durchaus als erneuertes Markenzeichen Europas herauskristallisieren: „innerhalb der Grenzen unseres blauen Planeten gut leben und gerecht teilen“ zu wollen und zu können.

Wenn wir sehen, wie die Welt aus den Fugen geraten ist, war das Jahr 2015 mit der einstimmigen Verabschiedung der UN-Agenda 2030 und der Paris- Erklärung ein Glücksfall für die Weltgemeinschaft. Die UN-Agenda mir ihrem 17 Zielen und 169 Unterzielen geht von einer universalen, unteilbaren und partizipativen Weltordnung aus, zu der alle UN-Staaten gleichermaßen transparent, kohärent, partizipativ und solidarisch beitragen. Die 17 Ziele sehen Maßnahmen und Unterziele vor, die durch quantitative Indikatoren unterlegt sind.  Sie werden alle gebraucht, sie sind transparent und können überprüft werden.

Die Herausforderung besteht darin, die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Folgen der Handlungen parallel und mit gleicher Gewichtung umzusetzen. Dies kann zu Spannungen führen, die nach politischen Entscheidungen zur Auswahl, Prioritarisierung und zu Kompromissen verlangen.

Die Agenda 2030 enthält neben den nicht erfüllten Milleniumsziele wichtige neue Ziele, u.a. die als „Big Five“ nominierten Ziele Erneuerbare Energien (6), Abbau der Ungleichheit(10), verantwortungs- bewusster Konsum(12), Schutz vor Klimawandel(13), Schutz der Meere (14).  Mir fehlen dabei die Geschlechtergerechtigkeit und das Gender Empowerment(Ziel 5). Ohne sie kann die Umsetzung der Agenda 2030 nicht gelingen. Die Agenda 2030 ist innovativ:

Der UN- Agenda geht es um einen Paradigmen- Wechsel. Es geht nicht mehr um erfolgreiche Volkswirtschaften, sondern um nachhaltige Gesellschaften. Gemeinwohl (hier und jetzt) wird ergänzt durch Nachhaltigkeit (heute und morgen). Die Nachhaltigkeit erfordert umfassende und längerfristige Ansätze sowie die Überwindung sektoraler Kurzfristigkeit als gegenwärtig vorherrschende Form des Regierens.

Die neuen Parameter sind:
Natur: fundamentale Veränderungen des Verhältnisses   zwischen Natur und Gesellschaft
Zeit: langfristige Wirkungen werden wichtiger gegenüber kurzfristigen Effekte im Interesse zukünftiger Generationen.
Raum: eigene Wohlfahrt ist verknüpft mit der des nahen und des fernen Nächsten

Gerechtigkeit: Transformationspfade dürfen Ungleichheiten zwischen Ländern und innerhalb von Ländern und Gesellschaften nicht verschärfen.

Die Umsetzung soll transparent, partizipativ und kohärent sein. Alle Akteure müssen an einem Strang ziehen. Leitplanken für politische Entscheidungen sind die planetarischen Grenzen unserer Erde zusammen mit der Orientierung an einem Leben in Würde für alle.

Akteure der Umsetzung:
Alle Staaten
Alle Regionen z.B.  EU
Deutschland: Bund, Länder, Kommunen
Und: immer die Zivilgesellschaft

Die UN-Agenda bleibt insbesondere in Hinblick auf die strukturellen Ursachen von Armut und sozialer Ungleichheit zurück, die durch das globale Wirtschafts-, Finanz-, und Handelssystem begünstigt werden. Grundlegende Zielkonflikte, wie zum Beispiel zwischen weiterem Wirtschaftswachstum und der Endlichkeit der Ressourcen bleiben bestehen, weil die Transformation des herkömmlichen Wirtschaftssystems kein Weltordnungsmerkmal geworden ist.

Alle 17 Ziele und 169 Unterziele müssen gleichermaßen und kohärent dazu beitragen, z.B. Hunger, Armut und Ungleichheit zu überwinden. Deswegen sind Indikatoren und Messzahlen so wichtig. Die Beseitigung der Armut in allen ihren Formen und Dimensionen, einschließlich der extremen Armut, ist die größte globale Herausforderung und eine unabdingbare Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung. Gute Bildung und Gesundheit, Ernährung, Klimaschutz auch.

Innovativ und neu sind neben der Forderung nach nachhaltigen Produktions- und Konsummustern auch alle Forderungen nach der Überwindung von Ungleichheit, Verteilungsungerechtigkeit und Arbeitslosigkeit. Für die soziale Nachhaltigkeit sind Vollbeschäftigung und menschenwürdige gute Arbeit sowie die ILO-Kernarbeitsnormen nach wie vor unentbehrlich. Gute Arbeitsbedingungen, faire Löhne und die Einhaltung von Arbeitnehmerrechten sind wichtig und tragen zum Abbau von Armut bei.

Gute Arbeitsplätze werden gefordert, es muss genügend menschenwürdige Arbeit geben. Jede und Jeder soll eine Chance auf eine produktive Arbeit zu einem gerechten und fairen Lohn haben, sicher arbeiten können und Sozialschutz genießen. Verantwortungsbewusste Unternehmen werden gebraucht. Niemand darf zurückgelassen werden

Ziel 10(Ungleichheit überwinden) ist ein wichtiges Ziel der Weltagenda. Zunehmende Ungleichheit ist  ungerecht, aber auch schlecht für langfristiges Wachstum. Ziel 10 war neben Ziel 16 (Frieden) und Ziel 5 (Geschlechtergerechtigkeit und Gender-Mainstreaming) das umstrittenste Ziel in den Verhandlungen um die UN-Agenda 2030.

Die wachsende Lücke zwischen arm und reich sorgt dafür, dass Millionen Menschen weiterhin keine menschenwürdigen Lebens- und Arbeitsbedingungen haben.

Die acht reichsten Menschen der Erde besitzen genauso viel wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung zusammen. 1% der Weltbevölkerung besitzt die Hälfte des Weltvermögens.

Die allgemeine Einschätzung auf EU-Ebene wird von den OECD-Ergebnissen bestätigt, dass „die Einkommensungleichheit in den meisten OECD-Ländern seit Mitte der 1990er Jahre gestiegen ist. Die verfügbaren Haushaltseinkommen sind weniger gestiegen als das Bruttoinlandsprodukt (BIP) und die Einkommen der ärmsten sind gesunken.

Wachstum bleibt notwendig, solange die menschliche Bevölkerung zunimmt und Milliarden von Menschen aus der Armut geholfen werden muss. Allerdings erfordert der Planet eine andere Art von Wachstum:  Wir brauchen ein Wirtschaftswachstum, das größtenteils entmaterialisiert ist ( Kreislaufwirtschaft) , auf erneuerbaren Energien beruht und die Materialien innerhalb des Produktionszyklus behält. Wir brauchen ein Wachstum, das innerhalb der sicheren Grenzen unseres Planeten sozial integrativ und innovativ ist. Also müssen wir unsere Wachstumsmodelle und unsere gegenwärtigen Produktions- und Verbrauchsmuster überdenken. Dies erfordert einen neuen Denkansatz und Innovation.„Es scheint immer unmöglich zu sein, bis man es schafft“- Nelson Mandela

In einer nachhaltigen Gesellschaft harmoniert das Wirtschaftswachstum mit den planetarischen Grenzen und ist gerecht unter den Bürgern verteilt. Nachhaltige Entwicklung ist kein neues Konzept. „Die Menschheit ist einer nachhaltigen Entwicklung fähig – sie kann gewährleisten, dass die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt werden, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zur Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse zu beeinträchtigen “ hieß es 1987 im UN- Brundtlandbericht. Im September 2015bestätigten die UN-Mitgliedsländer erneut, dass die nachhaltige Entwicklung die richtige Marschrichtung ist, jetzt aber dringend und universal, gleichermaßen für Industrie- und Entwicklungsländer. Die Europäische Union verpflichtete sich, diesen Aktionsplan umzusetzen, „unsere Welt umzuformen“ und in großen Dingen größer und ambitionierter zu sein. Die Umformung der Welt scheint ein eher größeres Ding zu sein, das die EU dringend in Angriff nehmen sollte.

Der Konsum als privater Kauf wie auch als öffentliche Beschaffung sind  eine erfolgreiche Schlüsselgröße für die erfolgreiche Umsetzung der Agenda 2030. Europas Verantwortung in der Welt, wird auch daran gemessen wie mit der volkswirtschaftlichen Größe des Konsums umgegangen wird, insbesondere im Zusammenhang mit der Exportstärke, der Auslandverschuldung sowie auch den begrenzten natürlichen Ressourcen der EU- Mitgliedstaaten. Eine Mäßigung des Konsums sowie eine ressourcenschonende Produktion sind Wege, die erforderlich sind genauso wie wirksame Beiträge zur Kreislaufwirtschaft.

Zu diesem neuen Thema gehört auch die Nachhaltigkeit in der Wirtschaftspolitik und verantwortliches Wirtschaften, wie sie in den UN-Leitprinzipen für Wirtschaft und Menschenrechte enthalten sind. Es ist bedauerlich, dass Deutschland wie auch andere EU-Staaten die Unternehmen nicht gesetzlich verpflichtet, bei ihren Aktivitäten und Geschäftsbeziehungen im Ausland ihre menschenrechtliche Verantwortung wahrzunehmen. Deswegen besteht für die EU die Mindestforderung, vor Verhandlungsbeginn menschenrechtliche Folgeabschätzungen zu Handels- und Investitionsschutzabkommen durchzuführen. Bis heute fehlen auch Engagements dahingehend, dass Unternehmen zum Beispiel Wiedergutmachung leisten, wenn sie negative Auswirkungen verursachen oder zu diesen beitragen. Die EU- CSR-Berichterstattungsrichtlinie sollte ausgeweitet werden.

Die UN- Agenda ist ein Lichtblick. Globalisierungsproteste erfolgen zu recht, weil Globalisierung menschengemacht ist, aber nur ausgewählte Bevölkerungsgruppen mitsprechen und von der Globalisierung profitieren können. Globalisierung braucht politische Gestaltung. Die Nachhaltigkeitsagenda liefert eine Blaupause für Prinzipien, die sie gerechter und inklusiver machen können und solidarischer.

Wenn die soziale Schere immer weiter aufgeht, dann heißt das in armen Ländern, dass Hunger und Ausgrenzung sich verfestigen und in wohlhabenden Ländern, dass Chancen- und Perspektivlosigkeit zu neuer Armut führen. Dies ist ein Nährboden für Populismus und eine Gefahr für die Demokratie. Hierzulande und weltweit sozial, gerecht und solidarisch zu handeln und zu wirtschaften, ist also dringend geboten.

Damit untrennbar verknüpft ist die Frage, in welchen Bereichen unser Reichtum auf Kosten anderer geht, unser Exportüberschuss die Entwicklung anderer Erzeuger hemmt und umgekehrt, und wann politisches Handeln die Menschenrechte auf Sicherheit, Gesundheit, ein auskömmliches Leben oder Mobilität verteidigen und verwirklichen kann und muss.

Prämisse bei der Formulierung von Antworten ist das Gebot der Solidarität, der gedankliche Gegenpol jeglicher Form von Abschottung. Die Agenda 2030 mit ihren nachhaltigen Entwicklungszielen muss sowohl Leitbild als auch Leitfaden für künftiges politisches Handeln in Europa, in Deutschland, aber auch in Hamburg sein.

Deswegen muss das Nachhaltigkeitsprinzip in die Hamburgische Verfassung, in das Grundgesetz und in den Vertrag über die Europäische Union.

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